Unsere Reise stand diesmal unter dem Motto “sich langsam dem Ziel nähern”. Und so sind wir von Berlin nach Mailand geflogen, haben den Bus nach Turin genommen und von dort die Bahn nach Susa – jedenfalls war das der Plan. Im wahren Leben hakte es an jedem Übergang und wir strandeten in Bussoleno. Das Ortstaxi brachte uns dann nach Susa, wo wir im b&b L´Archivolto übernachtet und auf der kaum zu übertreffenden Dachterrasse bei strahlendem Sonnenschein gefrühstückt haben. Ein kurzer Blick durch das Teleskop auf eine Prozession, die sich gerade den Roccia Melone hinaufschlängelte und schon scharrten wir mit den Füßen…..
Sonntag war´s, der 6.8.06, und wir machten uns auf den Weg zur Alpe Toglie: 1240 m im Auf- und 223 m im Abstieg.
Erst ging´s relativ gemächlich, durch Dörfer, dann steil bergauf – reisen statt rasen – mehr hätten die Beinchen auch noch nicht hergegeben. Auf der Alpe sah es zwar duster aus was das Essen anbetraf, aber dafür war es echt malerisch: Als wir ankamen, saß da ein alter Senner und schnitzte, eine Kuh beäugte ihre einen-Tag-alten Zwillinge und später trieb ein Rudel völlig verwegen aussehender Hunde die Kühe von der Alm in den Stall, wo sie von singenden Handmelkern bearbeitet wurden. Käse und Wein gab es reichlich und der nächste Tag – ein langer – erinnerte mich eher an einen Atkins Diätkurs als an einen Urlaub im Piemont….
Montag, der 7.8.06, Alpe Toglie nach Usseaux, 1499 Höhenmeter rauf, 1579 runter.
Eine sehr schöne Etappe – morgends Aufstieg durch Wald, über Wiesenplateaus und vorbei an verlassenen Alpen, klare Luft und vom Colle dell´ Orsiera eine atemberaubende Sicht zurück zum Gran Paradiso und nach vorne zum Monviso! Der Abstieg nach Usseaux zog sich – aber wieder wunderschön: Tannenharz und wilder Thymian, Wolken von Schmetterlingen und Grashüpfern. In Usseaux ein gemütlicher und freundlicher posto tappa mit leckerem Essen, leider auch recht voll. (“lecko mio – bin ich fertig” lese ich dazu abends im Tagebuch des D:).
Dienstag, der 8.8.06, Usseaux nach Balziglia, 1645 Höhenmeter rauf, 1627 runter.
Wieder eine tolle Etappe – vielleicht sogar die schönste auf unserer zweiten Tour. Aber auch wieder recht anstrengend: Der Aufstieg lang, entlang Wiesen mit Edelweiss soweit das Auge reicht bis zum Talschluss, dann über Geröll zum Colle dell´ Albergian und von dort in einen riesigen Talkessel steil abgestiegen, vorbei an einem gigantischen Wasserfall bis nach Balziglia. Dort haben wir uns vom Wirt in Didiero abholen lassen, um im posto tappa in Didiero zu nächtigen. (Wir haben im Nachhinein erfahren, dass der posto tappa in Balziglia im August von einer Dame versogt und der Kühlschrank aufgefüllt wird. Wäre also auch kein Problem gewesen, in Balziglia zu übernachten). Didiero war überaus unterhaltend: Wir machten Bekanntschaft mit nach Amerika ausgewanderten Waldensern auf ihrem jährlichen Heimaturlaub, von denen wir viel über die Gegend von vor 50 Jahren erfahren haben. Der Wirt hatte gerade ein Lamm geschlachtet und es gab als Festessen Innereien und als Hirn getaufte Testiculi…..
Mittwoch, der 9.8.06. Didiero nach Ghigo di Prali, 851 Höhenmeter rauf, 624 runter.
Ein entspannter Tag – eher unspektakulär! In Rodoretto haben wir uns verlaufen – müsste eigentlich “Rondoretto” heißen. Ghigo ein ziemlicher Turiort, der uns fast unvorbereitet trifft. Gute Versorgungslage, aber zu viele Menschen. Im Museum interessante Einblicke in die Waldenserkultur.
Immer wieder erstaunlich, wie bunt die Welt ist und wieviele unterschiedliche Wanderertypen es gibt. Hier sei schon mal einer erwähnt: Völlig rastlos durch die Gegend hetzend, Hektik verbreitend, den Wettlauf suchend, um dann gleich wieder eine Pause einzulegen – und das alles ohne jedweden Unterhaltungswert für die Umwelt am Abend beim Glas Wein!
Donnerstag, der 10.8.06. Von Ghigo di Prali zum Rifugio Lago verde, 1162 Höhenmeter rauf, 62 runter.
Ein Ausruhtag mit Apollo-Faltern. Die sollen ziemlich selten sein, flattern hier aber ab und zu rum. Ansonsten gings nach einer dreiviertel Straßenstunde einfach nur hinauf in die Berge. Zu einer Hütte mit türkisfarbenem See und deshalb vielen Menschen. Viele Tageswanderer aus Frankreich. Trotzdem noch ein wenig in der Sonne geschlafen. Abends war die Hütte dann ziemlich voll, trotzdem eine ruhige Nacht gehabt. Merke: Duschen zwei Menschen zusammen in enger Kabine, gehts in der Regel nicht um Schweinskram sondern um Beschleunigung des Gesamtprozesses!!
Freitag, der 11.8.06. Vom Rifugio Lago verde nach Villanova, 525 Höhenmeter rauf, 1841 runter
Ein alpiner Tag. Das heißt früh raus, einen ersten, steilen Anstieg im noch kalten Wind. Eine grandiose Aussicht am klaren Morgen. dann eine schöne Wanderung entlang des Kamms zum Colle Giulian und ein langer Abstieg. Erst schön ausgezeichnet, dann versuchten wir die mäandernde ewiglange Strasse über den steilen Wiesenhang abzukürzen. Das gelang auch mit einigen Schwierigkeiten, so dass wir dann am (buchstäblich) ersten Haus am Platze auf die fröhlich biertrinkenden Schweizer stießen. Villanova ist ein netter,vergessener Ort mit einem netten Hotel und sauberem posto tappa.
An dieser Stelle sei vielleicht ein weitere Typ Wanderer erwähnt: Sieht eher aus wie jemand, der das Leben genießt und schon mal Fünfe gerade sein lassen kann: Bei Ankunft erst mal ein alkoholisches Kaltgetränk – auch gerne in Kombination mit dem Lungenturbo. Aber: morgends schon unterwegs, bevor der erste Hahn kräht. Und dann aber zügig und stetig am Berg!! Den Rucksack auf das Minimum an Hightech reduziert, hohes Maß an Selbstironie und Humor, immer auch ein offenes Auge für die Umwelt und volle Tüte an Erfahrung in den Bergen – die gerne und ausgiebig mit anderen Wanderern geteilt wird.
Samstag, 12.8.06 Von Villanova zum Rifugio Barara Lowrie, 1000 Höhenmeter rauf, 1000 runter
Nicht ganz unserer Tag. Von Villanova zur Vorstufe des Passe, der Conca del Pra, gibt es zwei Möglichkeiten: Auf einer kleinen Strasse auf dem orographisch linken oder einem Pfad auf dem orographisch rechten Ufer des Flusses entlang. Wir entschieden uns für den Pfad. Und das hatten wohl schon länger keine Wanderer vor uns mehr gemacht – er war entsprechend zugewachsen, steil und schlecht ausgeschildert. Dafür haben wir mindestens 3 Salamander gesehen. Schwarze. Dicke. Anschließend dann mit einer Rinderherde auf einer Militärstrasse zum Pass. Schon interessant, was solche Viecher für Lärm und Geruch machen. Auf dem Pass zog sich´s zu, dann unspektakulär zur Hütte.
Die Barbara Lowrie ist eine Hütte mit großem Parkplatz und Straßenanschluss, was zu Beginn der Ferragosta Woche heißt: Überfüllung. Schläppchenwanderer. Business-Trolleys unter Doppelstockbetten. Familienurlauber. Mit einer Berghütte – gar einer CAI-Hütte – hat das nix mehr zu tun, eher mit Nepp und Abzocke. Von einem Besuch wird dringlich abgeraten!
Zum Glück trafen wir wieder die Schweizer. Und die halfen uns redlich, unsere Stimmung zu verbessern.
Sonntag, 13.8.06 Vom Rif. B. Lowrie nach Pian Melze. 754 Höhenmeter rauf, 800 runter
Auf Schweizer Manier gestartet. Im Dunkeln, nach Kerzenfrühstück. Dann in der Variante durch das Valle della Gianna zum Colle delle Gianna und erst im Gelände, dann auf Strasse hinab zu Pian Melze. In Aufstieg und Traverse zum Pass ein toller Blick – zwei Tage zurück. Auf dem Pass das volle Monviso Panorama. In Pian Melze haben uns Enzo und Massimo empfangen. Diese zwei italienischen Stimmungskanonen machten hier Musik für die zahlreichen italienischen Sonntags- und Urlaubsgäste. Soziokulturell ein interessantes Erlebnis, audiovisuell eher beängstigend.
Aber im posto tappa hatten wird dann mal wieder ein vertikales Doppelzimmer (Doppelstockbett). Und das Essen konnte sich echt sehen lassen. Mittlerweile hat das abendliche Antipasto, Pasta, Carne, Dolci, Vino, Grappa schon eine recht dominante Stellung in unserem Urlaubsleben eingenommen. Aber bedenklich finden wir das nicht.
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