Der Einstieg in die Lanzo Täler ging – zum Glück – ausgeruht los. Zunächst durch sehr schönen Wald mit Blau- und Brombeeren, dann durch die Piano dei Morti und weiter Richtung Colle della Crocetta. Bevor man den Pass endlich erreicht (insgesamt 1140 Hm Anstieg) noch einmal richtig steiles Blockgelände. Die Aussicht entschädigt allerdings: rückwärts zum Lago di Ceresole Reale, ringsum die verschneiten Gipfel des Gran Paradiso und nach vorne das Val Grande der Lanzo Täler. Das geübte Auge erahnt auch sofort die Torturen der nächsten Tage und vertieft sich lieber in mitgebrachtes Brot, Käse und Salami. Der Abstieg – 1570 Hm – dann auf gutem Weg, vorbei an verlassenen Alpen und Blaubeeren sammelnden Pilzsuchern, die aus Pialpetto den Hang hochkommen. Pialpetta ein ganz hübscher Ort, bei dessen Anblick die müden Füßchen schon fast wieder vergessen waren. Der posto tappa ein Traum – jedenfalls von außen, von inner blieb uns der Anblick verwehrt, da die geschäftstüchtige Wirtin des Schlüssel-verwaltenden Albergo den posto tappa komplett an eine CAI-Truppe vermietet hatte. Immerhin war sie so freundlich, uns das erste Hotel am Platze als alternative Schlafgelegenheit zu empfehlen – der Geldbeutel freut sich. Das Hotel Pialpetta war dennoch wunderbar: Der Patrone ein älterer Herr, der mit seiner grande famiglia damit beschäftigt war, es den Gästen gut gehen zu lassen. Gastronomiepreisgekrönt. Zwischen aperitivo und cena wurde mal eben mit Gummistiefeln, Vespa und einer 5 L Milchkanne zwischen den Knien Milch geholt. Ansonsten trafen sich 3 – 4 Generationen des Ortes vor dem Hotel zum Schwatz und später abends drinnen zum Kartenzocken.
Der nächste Tag war – mit Abstand – der Anstrengendste: 1560 Hm rauf, 1430 runter – mir drängte sich der Wunsch nach einem Höhenweg auf….Also: von Pialpetta zunächst durch steilen, hübschen Wald bis zu einem feuchten Hochtal, dort durch Gebüsch und an zwei Alpen bis zum Talkessel mit See, noch eine große Runde am Ende des Tales gequert, leichte Kletterei über Felsbänder und endlich zum Schnittkegel des Passes. Immer wieder erstaunlich, welch findige Füße solch einen Weg erkunden – gerade auf dieser Etappe war es uns bis auf die letzten Meter nicht klar, an welcher Stelle wir passieren würden. Der Abstieg erst steil, dann auf bequemen Almwegen – die sich allerdings schier endlos zogen, bis zur Fahrstraße und auf dieser die letzten paar Kilometer bis nach Balme. Freundlicher Empfang im Ort, ein älterer Herr hat uns gleich in die richtige Richtung gepfiffen. Da der posto tappa in Balme geschlossen war (viele Orte entlang der gta scheinen akut vom Aussterben bedroht, der Altersdurchschnitt lag oft jenseits der 50, wenn die Orte überhaupt das ganze Jahr bewohnt sind, und von den paar gta-Touristen kann verständlicherweise auch niemand leben) sind wir also im bed & breakfast Gloria „abgestiegen“ – sehr zu empfehlen. Wir hatten eine eigene Wohnung mit Bad und Küche, in der schon das Frühstück für den nächsten Tag gerichtet war (fairerweise muss man hier anmerken, dass es dem italienischen Frühstück keinen Abbruch tut, schon am Vorabend angerichtet zu werden). Da hier Selbstversorgung angesagt war, sind wir erst mal im Supermarkt einkaufen gewesen: pasta satt, 2 Flaschen vino rosso gegen die schmerzenden Beinchen (wir haben uns auf der Tour herzlich für den piemonteser Dolcetto erwärmt!!), frutta und dolci. Dann noch eine kleine Runde durch den Ort mit seiner komplett-Überdachung, Dusche – Spachteln – Bett! Ich wette, es war vor 20:30.
Weiter am nächsten Tag über Usseglio zum Lago Malciaussia, 1250 Hm rauf, 1400 runter.Zunächst ein wenig Fahrstraße, dann schöner Naturlehrpfad, leicht bergauf, erst Wald dann Felsgelände, vorbei an zwei verlassenen Alpen, weiter auf sehr gutem Pfad zu den Laghi Verdi – wunderschön, wahnsinnig grün – und zum gemütlichen Bivacco Gandolfo. Hier sollte man wirklich eine Nacht bleiben! Wäre zwar eine kurze Tagesetappe geworden, dafür hätte man sich im Supermarkt den Rucksack etwas voller stopfen und hier oben ganz entspannt Ruhe und Natur geniessen können. Dann zog sich ein Schutthang bis zum Passo Paschiet. Kurz hinab, ein paar Franzosen getroffen, den Talschluss gequert und wieder hinauf zum Colle di Costa Fiorita. Hier ein paar deutsche gta Wanderer in Gegenrichtung getroffen (mords-was-los auf dieser Etappe) und dann den unwegsamsten aller Abstiege hinab: steile, glitschige Hänge gequert, ausgesetzt, erodiert aber schier endloser Blick in das tiefe Tal…..zum Schluss dann auf Serpentinen durch Nadelwald und auf Blockdamm zur Fahrstraße nach Usseglio. Hier ist der posto tappa im Albergo Gran Usseglio untergebracht. Als wir ankamen, schüttete gerade ein Reisebus eine halbwüchsige Fußballmannschaft nebst Ersatzspielern aus und die Vorstellung, hier die Nacht zu verbringen, lag uns in dem Moment so fern wie ein Badeurlaub am Meer. Wir haben hinterher erfahren, dass dieser posto tappa auch in dem Ruf steht, seine gta Wanderer recht „lieblos“ abzufertigen. Wir also weiter zum neu eröffneten Rifugio Vulpot, von dem uns nur noch 7 km und 300 Hm trennten. Hier sind dann auch wir schwach geworden, zumal die Strecke hauptsächlich entlang und auf der Fahrstraße erfolgt – also den Daumen raus. Selbstredend hatten wir so unsere Bedenken: riechen wir vielleicht schon etwas streng? Sind unsere Klamotten einem normalen Auto noch zumutbar? Aber vom Himmel geschickt wurden uns zwei Autos in Folge, die uns erst nach Margone und dann zum Lago Malciaussia mitgenommen haben – überaus freundliche Leute, die ohne Umstände ihr Auto umpacken, um uns mit unseren Rucksäcken unterzubringen – Wahnsinn! Das Rifugio Vulpot wurde diesen Sommer erst von Hotelfach- und Kochschülern übernommen und wird sowohl zum Übernachten von Wanderern und Angelfreunden, als auch zum Essen von den Zeltern ringsum genutzt. Nette Atmosphäre, leckeres Essen.
Und weiter – der Tag der Entscheidung: Nehmen wir den Roccia Melone nun mit und übernachten auf dem Rifugio Ca d´Asti oder lassen wie ihn rechts liegen und wandern gleich durch bis Truc? Nun, zunächst den Lago M. umrundet, auf fast gepflastertem Weg der Aufstieg zum Colle Croce di Ferro. Nicht nur die Füße, sondern auch das Herz wurde mir schwer bei der Vorstellung, dass das nun unser letzter Pass werden sollte. Unsere Hoffnung: wenigstens dort oben noch einmal klare Fernsicht in das Susa Tal und auf die Grajischen und Cottischen Alpen zu erhalten. Leider wurde das nix, die Wolken wollten sich einfach nicht verziehen! Damit war dann auch die Entscheidung, uns nicht mehr auf den Roccia Melone zu quälen, gefallen. Intensiver Schwatz mit Hüttenwirt auf der Capanna Societa A. Ravetto, ausgiebige Mittagspause und dann gemütlich auf gutem Weg hinab bis zur Fahrstraße, wobei einer der angeblich schönsten gta-Abschnitte für uns im Nebel verborgen blieb. Zum Schluss auf Grasspazierweg sanft bergab bis nach Truc. In Summe knappe 700 Hm Auf- und 800 Hm Abstieg. In Truc nette, kontaktfreudige Hüttenwirte, leckeres Essen und noch zwei Deutsche getroffen, die ebenfalls einen Teil der gta gewandert waren und gerade vom Roccia Melone heruntergekommen sind. Nett, sich noch einmal mit ihnen austauschen zu können.
Am nächsten Morgen der Abstieg nach Susa (1200 Hm). Vorher noch ein Blick zum Roccia Melone, ob er denn heute Morgen frei gewesen wäre – er war! Wehmütig abgestiegen – wir sind durch so schöne Landschaft gewandert, haben viele wirklich freundliche und nette Leute getroffen, sind soooo stolz auf uns und die überstandenen Strapazen und können uns überhaupt nicht vorstellen, jemals wieder in unseren alten Trott zurückzukehren. Der Abstieg zunächst steil durch Wald, dann auf Plattenweg bis zur Fahrstraße im Tal und auf dieser dann nach Susa. Ein lockerer Spaziergang durch piemontesische Dörfer. In Susa mitten in der Altstadt im bed & breakfast L´Archivolto abgestiegen, eine voll eingerichtete, riesige Wohnung mit allem Zick und Zack – unwirklich. Bei so viel Einrichtung fühlen wir uns fremder als in jeder kargen Hütte. Susa eine mittelalterliche Stadt mit reichlich römischen Ruinen, wunderschön. Urlaubsausklingen beim aperitivo vor einer Bar, mit Blick auf Roccia Melone, der uns abendsonnenscheinbeleuchtet entgegengrinst – wir müssen wiederkommen.