von Capanne nach Ceresole

Am nächsten Tag sind wir der Wegfindungsschwierigkeit erlegen – und statt auf bequemem Grat haben wir uns unseren Weg durch hüfthoses Blaubeer- und Erlengestrüpp, dann auf steilem Geröllfeld und schließlich noch auf kippeligem Blockgelände „erkämpft“. Belohnt wurden wir (aber auch die auf bequemem Pfad) mit einer Aussicht zurück auf das Monte Rosa Massiv und nach vorne auf die Poebene, an deren Rand wir uns die nächsten Tage entlang bewegen sollten. Dann weiter am Rif. Chiaromonte vorbei, wieder alles bester Weg, bis zu jenem steilen Hang mit Büschelgras, wo ein Weg nicht mehr wirklich erkennbar war, den wir aber in voller Breite queren sollten – wenigstens war die Markierung vorbildhaft!! Vorbei an lauter verlassenen und verfallenen Alpen, bis der Weg auf einmal die Falllinie annahm, dafür aber das Büschelgras aufhörte. Weiter steil bergab, bis wir in Succinto ankamen. Sehr freundlicher Empfang (der Italiener war in Feiertagslaune) und mit der Hilfe von „Ex-Einheimischen“ auf Sommerurlaub auch das posto tappa gefunden. Hier gab es den rührigsten aller „Hütten“-Wirte – schade, dass unser Italienisch nur für die grobe Unterhaltung ausreichte. Obwohl ohne Konkurrenz und entfernt gelegen (der Ort wird über eine Materialseilbahn versorgt), preiswerte und leckere Hausmannskost, die Rotwein- und Grappaflaschen standen unkontrolliert und unberechnet auf dem Tisch – ein Schelm, wer sich hier schadlos gehalten hätte. Einzig die als Bad eingerichtete Nasszelle war für den hygienisch besorgten gewöhnungsbedürftig. In Summe 750 Hm Auf- und 900 Hm Abstieg.

Der nächste Tag wieder ein anstrengender: Über Valchiusella und Tallorno auf die Alpe Pra, von dort über die Bocceta delle Oche nach Priamprato. Kurz vor der Boccette noch eine bewirtschaftete Alpe mit lauter verwegenen Gesichtern und Hunden, an deren Hof ich nicht vorbei wandern möchte wenn ich auch nur erahne, dass die Hirten unser Kommen nicht bemerkt haben. Bätzing listet den Abstieg von der Boccette bei Nässe als einen der schwierigsten, wir hatten Glück, bei uns war es trocken. Allerdings glühten uns im Tal die Füße, so dass wir sie am ersten Bach kühlen mussten!! Was für Libellen!! Priamprato in der Vergangenheit angeblich preisgekrönt ob der Beschaulichkeit des Ortes – wem´s gefällt – mich hat´s eher an die Schweiz erinnert….Posto tappa in der alten Schule, der einzige Gasthof am Ort eher eine Touristenfalle, in der die Bedienung schon mal mehrere Dezibel lauter redet, wenn sie einen Ausländer vermutet. Die Kneipe dafür eine echter Informationsquell! Hier Taxi für den nächsten Tag nach Ronco Cavanese „gebucht“. Dieser Teil der Wanderung lohnt sich echt nur für den kulturhistorisch begeisterten. Alles in Allem: 1360 Hm rauf, 1050 runter. Jetzt, wo ich die Höhenmeter aufschreibe, sind es einfach nur Zahlen. Aber vor Ort war jeder Meter hart erarbeitet!

In Ronco Cavanese noch schnell Verpflegung gebunkert (Brot, Käse, Salami), dann weiter über Bosco, bewohnte und verlassene Alpen bis zum hohlwegartigen Steinbruch, dann über die Pian delle Masche, einen weiteren Bergrücken und auf steilem und abschüssigem Grasbüschelhang (unnötig zu erwähnen: auch hier kein Weg) die Flanke des Cima Rosta gequert bis zum Colle Crest. Ab hier abwärts vorbei an mehreren Alpen bis zum Santuario di Prascondu, dann auf alter Mulattiera nach Talosio. Hier ist die Zukunft des posto tappa angeblich recht ungewiss aber ich bin sicher, unsere Generation der GTA Wanderer wird sich bestens an Dich, Marina, Dein leckeres und überteuertes Essen, die Schule, Dein völlig-überfordert-wirkendes Barmanagement und Dein Verschlafen am nächsten Morgen erinnern! Insgesamt 1250 HM Auf- und 1000 Hm Abstieg.
Obwohl schon auf dem Zahnfleisch kriechend, haben wir uns am nächsten Tag über mehrere verlassene Alpen, Gras- und Schrofenrücken des Monte Arzola bis zum Stausee Lago Eugio aufgemacht, dort ein wenig abgewettert und Mittagpause gemacht, vom Stauseewart einen Kaffee angeboten bekommen (ein freundliches Völkchen, die Piemonteser), dann im Dauerregen weiter über die Alpe di Colla und auf steilem Abstieg über Grashänge nach San Lorenzo. Dem Himmel sei Dank, dass wir diesen Abstieg mit heilen Knochen überstanden haben – im Verlauf hatte ich deutliche Zweifel…….In San Lorenzo ist die geschäftstüchtige posto tappa-Wirtin ohne viele Mühe an uns (anstelle des Bettenlagers) ein Doppelzimmer mit Dusche losgeworden, das Essen war ohne Raffinesse aber reich an Kohlehydraten – genau was der Wanderer braucht. Interessant die distanziert-romantische Begeisterung der italienischen Großstädter für unser Wanderunterfangen! Insgesamt 1400 Hm rauf und 1600 Hm runter.

Der nächste Tag las sich auf Papier ganz harmlos, 750 Hm rauf und 750 runter, hatte aber so seine Momente. Morgens ging es mit immer noch patsch-nassen Klamotten und Schuhen unter aufmunternden Blicken der Großstädter weiter nach Noasca. Zunächst auf Strasse bis Rocco, dann auf ziemlich zugewachsenem Weg, ständig im Unterholz, über die E-Werk-Wasserleitung zur Wallfahrtskirche S. Anna. Wenn die Brombeeren einem mal gerade nicht Hose und Haut zerkratzen, schmecken sie köstlich! Auf der Strecke ist unbedingt darauf zu achten, dass man nach S. Anna den gut geführten Abstieg in das Tal wählt. Wir waren wieder zu puristisch und sind der gta-Route gefolgt: zugewachsen wäre untertrieben, super steil, dazu ausgewaschene Erosionsrinnen und kleinere Kletterpassagen. Wir waren wieder einmal sicher, dass unser Reiseführer-Autor diese Strecke nicht selber gegangen sein kann – und falls doch, haben sich seine Korrekturleser nicht getraut, den Mund aufzumachen. Der posto tappa in Noasca ist im Albergo Gran Paradiso untergebracht, das den Glanz vergangener Zeiten zwar noch erahnen lässt, aber schon vor Dekaden abgestreift haben muss. Die Wirtsfamilie ein wenig skurril, aber wieder überaus freundlich, nachdem das erste Eis gebrochen ist.

Am nächsten Morgen gingen wir unserem Ruhetag in Ceresole Reale entgegen. Die Wanderung wunderschön einen „Balkon“ entlang, dann steil eine Bergflanke gequert und unspektakulärer Abstieg nach Ceresole Reale. Leider braute sich am späten Vormittag ein Gewitter zusammen, so dass die Sicht wieder zu wünschen übrig ließ. Den posto tappa in fonti minerali haben wir gerade noch trockenen Fußes ereicht, bevor der Gran-Paradiso-Dauerregen einsetzte. In Summe 1050 Hm Auf- und 600 Hm Abstieg. An unserem Ruhetag sind wir nur einmal um den Stausee herumflaniert, ansonsten haben wir die Füßchen hochgelegt. Zu dem im Bätzing aufgeführten Ausflug zum Rifugio Savoia (immer auf der Straße entlang, gleichen Weg hin wie zurück) konnten und wollten wir uns einfach nicht aufraffen. Fonti minerali ist für einen Ruhetag aber auch wie geschaffen: moderner großer Schlafraum, den wir für uns hatten, nette, etwas alternative Wirte, freundliches Ambiente, schöne ruhige Umgebung etwas außerhalb des Ortes, Geschäfte trotzdem in der Nähe.